Monday, April 19, 2010

Handschrift.

Kommentar zu: "Zeige mir, wie du baust, und ich sage dir, wer du bist"
Christian Morgenstern (1871-1914), dt. Lyriker

Es ist uns doch schon allen so ergangen. Man streift durch die Abgabepanele, sieht Projekte rumliegen und weiss instinktiv: das muss DER gemacht haben.
Verhält es sich nicht wie mit der Handschrift selbst? Ich kann die extreme Linksneigung verwandeln, nur noch Grossbuchstaben mit grösseren Abständen zwischen den Worten schreiben, kann dem Ganzen eine Prise Schnürlischrift hinzufügen und alle Möglichkeiten durchspielen und alles sieht anders aus - vorerst. Aber die inhärenten Eigenheiten, der “unsichtbare Rhythmus”, die Druckkraft, das individuelle Absetzen des Stiftes und Wiederaufsetzen – das Individuum dahinter - lässt sich bei allem Facettenreichtum nicht verstecken, seine “Handschrift” lässt sich nicht abstreifen.
Mit Stil im herkömmlichen Sinne hat dies weniger zu tun. In jedem wohnt eine mathematische Formel, eine übergeordnete einzigartige Struktur, die bei allem Schaffen gezwungen wird, hervorzutreten. Diese einmal erkannt, erkennt man sie unverweigerlich wieder. Die Unverwechselbarkeit eines Architekten ist umso grösser, je starker die Persönlichkeit dahinter.

2 comments:

  1. Auch die eigene Handschrift ist grösseren und kleineren Veränderungen ausgesetzt. Je länger die Übung oder je grösser die Erfahrung, desto geringer wirken sich diese Veränderungen auf das Gesamtbild aus - die Handschrift festigt sich, wird aber wohl nie völlig erstarren. Hoffentlich verhält es sich mit dieser übergeordneten Struktur, die laut Niel in uns allen wohnt, ähnlich, so dass wir nie unsensibel bezüglich äusseren oder inneren Einflüssen werden. Denn dann kann die Handschrift auch zur Falle werden.

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  2. Ich stelle mir schon länger die Frage, inwiefern solche Handschriften durch unsere Lehrmeister geprägt werden. In der DNA unserer Entwürfe sind Information gespeichert, welche ihrer genetischen Herkunft oft leicht zuzuordnen sind. Den Einflüssen durch bisherige Professoren räume ich eine besondere Bedeutung ein. Lässt sich ein KEREZianer nicht durch eine spezifische Arbeitsmethodik oder ein ANGELILianer durch eine typische grafische Darstellung entlarven? Besonders in den ersten zwei Jahren werden sehr essentielle architektonische Grundlagen vermittelt, welche die Studierende nachhaltig beeinflussen. Während ein DEPLAZESianer eine Wohnung isoliert betrachtet und dann damit ein Strukturmodell auffüllt, sucht ein typischer EBERLEianer nach einem kompakten Volumen und einer rationalen Struktur. Je nach Lehrstuhl wird ein ganz anderer Wortschatz vermittelt. Ich frage mich, ob sich in den höheren Semestern Unterschiede zeigen zwischen einem Student, welcher jetzt das erste Jahr bei Kerez absolviert und einem, der damals bei Angelil studiert hatte.

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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