Monday, March 8, 2010

Monte Rosa Hütte - ein technisches Produkt?





Die Internetsuche macht es deutlich: Die neue Monte Rosa Hütte ist attraktiv. Zwei Drittel der ersten achtzehn Suchresultate bilden den kraftvollen ikonischen Bau von aussen ab. Architektonische Bilder mit einer gebäudetechnischen Beschreibung. Doch sind diese Bilder tatsächlich technischer Natur? Oder sollte man es eher einer heroischen Alpinfotografie der Gebrüder Wehrli oder einer expressiven Kristallarchitektur Bruno Tauts zuordnen? Sind diese Bilder denn so schwach, dass sie einer technisch-rationalen Legitimation bedürfen? Das Verhältnis von Technik und Architektur wurde selten so verunklärt wie in den aktuellen Berichterstattungen und Laudatios zur Eröffnung des neuen Bauwerks.

Die Stiefmutter

Zugegeben, die Prämissen für eine offene Diskussion sind keine guten. Die Monte Rosa Hütte ist vielleicht das grösste transdisziplinäre Projekt der ETH Zürich. Es wird betont, dass es keinen einzelnen Autor gibt, dass das Projekt ein Resultat gemeinsamer intensiver Anstrengung ist. Es wird als Labor, ja als Experimentierfeld für neue Technologieen angepriesen. Alles Begriffe, die sich im Umfeld einer technischen Schule gut machen. Es gibt quantifizierbare Grössen: Die jährlichen Ersparnisse in der Heizenergie, die gewonnenen Kilowattstunden durch die Solarpanele oder die kurze Aufrichtzeit (die Baukosten werden elegant verschwiegen und die Systemgrenzen weitgehend frei definiert). Gegenüber messbaren und wissenschaftlich nachweisbaren Grössen haben nicht quantifizierbare Begriffe wie Ikonenhaftigkeit, Oberflächenhaptik, Wohlbefinden oder Erlebniswert einen schweren Stand. Wissenschaftler argumentieren lieber mit den Ersteren.

Technische Formgeneratoren?

Die beliebteste Legende zum bekannten Aussenbild der neuen Monte Rosa Hütte erklärt dass die Neigung des Dachs die Folge der im Süden angebrachten Solarpanele ist. Einleuchtend, denn sie passen auch gut zum technoid-glitzernden Erscheinungsbild ähnlich einer Weltraumkapsel, die soeben auf dem felsigen Untergrund einer Moräne aufgesetzt hat. Doch drei Punkte machen stutzig: Erstens, weshalb gibt es abseits des neuen Hauses noch ein weiteres Solarpanelfeld? Zweitens, weshalb dieses aufwändige Treppenbandfenster mit den daraus resultierenden drei- und fünfeckigen Panelen? Und drittens, wollen wir die ganzen Erkenntnisse der Architekturdebatte um Form und Funktion ab den Siebzigern einfach ignorieren? "Macht die Hütte doch einfach wie ihr es schön findet und setzt die Panele daneben, denn sie werden in spätestens zwanzig Jahren sowieso technisch überholt sein. Es ist dann günstiger sie zu ersetzen", würde der pragmatische Techniker sagen. Klar, die Panele können Ausgangspunkt für eine architektonische Überlegung sein, aber wird diese dann nicht ein bisschen schwach, wenn der effektiv geleistete Beitrag an jener Stelle eher unpraktisch und aufs Ganze gesehen teuer ist? Der ökologische Ausdruck als grafischer Aufdruck?

Formgenerative Technik?

Noch interessanter wird es innen: Der spartanische Aufenhaltsraum wird durch die grosse Balkenkonstruktion räumlich strukturiert. In die Balken wurden mit Hilfe des Departementes für Digitale Fabrikation die Kräftefelder in Form grafischer Linien ähnlich einer zu gross geratener Holzmaserung eingefräst. Das Sichtbarmachen des Nichtsichtbaren als eine Art Ornament ist ein schönes Gedankenspiel ähnlich der übergrossen Maserung aus Blattgold im Konzertsaal der Casa de Musica in Porto. Es ist wohl nirgens so deutlich wie hier dass sich die Technik vollkommen der gestalterischen Idee unterordnet. Es ist (leider nicht öffentlich) bekannt, dass auch andere Departemente, die sich mit digitalem Entwerfen und Präfabrikation befassen an Vorschlägen zur Konstruktion beteiligt waren. Ursprünglich hätte die Hütte vollkommen präfabrizierten Elementen zusammengesetzt werden sollen. Auch wenn man das nie an einer technischen Hochschule offiziell kommunizieren darf: Schlussendlich waren die ästhetischen Kriterien schwerwiegender. Die digitale Fabrikation wurde als künstliche Maserung "integriert".

Architektur als Kanibalismus

Man soll mich nicht falsch verstehen: Die Monte Rosa Hütte ist ein starkes Bauwerk, eine grosse technische Errungenschaft und somit ein ideales Geschenk zum hunderfünfzigjährigen Bestehen der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Hat die Architektur aber vielleicht versagt, wenn das Laienpublikum meint dieser Glänzling (der Name hat vielmehr mit einem edlen Smaragd zu tun als mit messbaren Kilowattstunden) MÜSSE so aussehen wie er sei, weil die Technik es vorschreibe? Das die Wechselwirkungen komplexer und anders sind wird nicht öffentlich diskutiert. Alternativ könnte man die Architektur als eine der Gebäudetechnik, Statik und Bauphysik ebenbürtige, aber hierarchisch höher stehende Disziplin definieren, weil sie alles in sich vereint. Von der zitrusfruchtartigen Grundstruktur bis hin zum in die Welt transportierten Bild hat sich während der gesamten Planung nichts Wesentliches geändert. Die Architektur überdauert die anderen Disziplinen mit sich regelmässig ablösenden wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht nur bildlich, sondern auch lebenszyklisch und physisch. Sie ist das Nachhaltigste an der Monte Rosa Hütte überhaupt.

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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