Wednesday, March 10, 2010

Die Verzerrung des Architekturgeschmacks durch die Ausbildung zum Fachidioten


Früher, als ich noch in meiner provinziellen Heimat in einem kleinkarriertem Tourismuskaff hauste und mich dafür entschied, Architektur zu studieren, schwor ich mir, ich würde mir keinen Geschmack beibringen wollen lassen. Ich wollte Gebäude bauen, die auch das Herz meiner Mutter verkraften kann, im Idealfall sogar erfreut. Ich wollte nicht den Beton lieben, sondern viel eher eine zeitgemäße Almhütte entwerfen lernen. Kurz gesagt, ich wollte die naive Sicht auf die moderne Architektur nicht verlieren um nicht NUR „Art pour l’art“ zu schaffen, sondern auch die gängige Trivialität in Rausch zu versetzen.
Keinesfalls wollte ich historistisch sein und den Zeitgeist ignorieren, keinesfalls wollte ich engstirnig und unauffällig sein, aber auf jeden Fall kein isolierter Fachidiot.
Es war mir damals sehr wohl bewusst, dass man durch eine umfassende Bildung auch „grobere“ Architektur, wenn man sie so definieren darf, schätzen lernen wird und der geschichtlichen Hintergrund dieser Grobheit eine Rechtfertigung verleihen wird, die so einleuchtend sein wird, dass auch ich sie propagieren werde. Ich war damals sogar sehr gespannt darauf, wie es sein wird, an diesem Groben Gefallen finden zu werden: welche Aspekte werden es sein, welche Details?
Die Geschichte dieser Grobheit, die meine Mutter aber so sehr belastet, wollte ich nicht fortführen, ich wollte lieber eine Alternative dazu finden. Nun aber habe ich, aus Gefallen daran, bereits beängstigend viel Grobes in meinem Studium entworfen und das bereitet mir erste Sorgen. Sollte ich meinen jugendlichen Eid einfach fallen lassen oder an den alten, vergangenen, überholten, aber für Mama immer noch aktuellen, Idealen festhalten?

Hoeoer

3 comments:

  1. Interessante Fragestellung: Wie gross ist der Einfluss der eigenen Ausbildung auf das persönliche ästhetische, aber auch ethische Empfinden? Frage: Was meinst du genau mit "Grobheit"?

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  2. Grobheit meine ich als Umschreibung all jener aggressiven Architektur, die das Laienpublikum erschüttert, all jene die sie nicht verstehen kann und die in Ihren jungfräulichen Augen grob erscheinen. Ist damit deine Frage beantwortet?

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  3. Lieber Hoeoer, rgendwie kommt mir deine Geschichte sehr bekannt vor. Ich war acht Jahre alt und meine beste Freundin lud mich zu sich nach Hause ein um mit ihrem Puppenhaus zu spielen. Ihr Vater war Architekt und hatte ihr eine wunderschöne Jugendstil-Villa im Massstab 1:20 gebaut, mit verzierten Treppengeländern, Dachterasse und schmucken Fensterläden - ich war hin und weg. Als ich am Abend nach Hause kam, nervte ich meinen Vater so lange, bis er versprach, mir auch ein Puppenhaus zu bauen. Zwar war er ein passionierter Bastler, allerdings unterschieden sich seine Vorstellungen von guter Architektur ziemlich von den meinen. Als er mir das fertige Werk zum ersten mal zeigte, war ich ziemlich enttäuscht. Das Haus war sehr schlicht, ohne geschwungene Treppen, ohne Fenstergesimse und vor allem hatte es ein Flachdach!! Es entsprach so ganz und gar nicht meinem Traumhaus. Dafür hatte mein Vater kleine Lämpchen eingebaut, die über kleine Lichtschalter ein- und ausgeschaltet werden konnten was mich ein wenig tröstete, dennoch zog ich es weiterhin vor, mich mit meiner Freundin bei ihr zu Hause zu verabreden.
    12 Jahre später begann ich an der ETH zu studieren und baute nur noch Modelle von Häusern mit Flachdach..

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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