Tuesday, March 9, 2010




















Kiste grau – Kiste weiss- Kiste grau

Das Quartier Fluntern ist für viele Zürcher der bekannteste Teil des Zürichbergs, man assoziiert mit diesem Quartier grosszügige im Grünen gelegene Einfamilienhäuser, opulente und luxuriöse Architektur mit viel Detailliebe und grosser Vielfalt. Ist dieses Stadtbild überholt? Fährt man heute durch das Quartier, fallen dem Besucher vor allem zwei Sachen auf, zum einen wird sehr viel gebaut, zum anderen prägt eine sehr urbane Architektur das idyllische Bild des Einfamilienhauses mit Vorgarten. Die Stadt Zürich bemüht sich mit Podiumsdiskussionen (“Neubauten im alten Villenquartier” Podiumsveranstaltung v. 14. Mai 2009 Amt für Städtebau/ Grün Stadt Zürich) den besorgten Quartiersanwohner die strukturellen und architektonischen Veränderungen verständlich zu machen. Die architektonische Vielfalt des Quartiers hat v.a durch den Strukturwandel stark eingebüsst. Grundstücke wurden aus dem Familienbesitz weg gegeben, die Grundstückspekulation entscheidet vereinfacht gesagt das Programm und aus dem Einfamilienhaus wurde das Mehrfamilienhaus. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen wie Wohnzonen, Grenzabstände, maximale Ausnützung et cetera haben dazu geführt, dass viele Neubauten nichts mehr mit der ursprünglichen und damals identitätsstiftenden villenartigen Bebauungsstruktur gemein haben. So gleichen die Neubauten eher einer Anhäufung homogener lang- oder hochgezogener durch grosse quadratische Fenster perforierte Kisten, abwechselnd grau, weiss oder pastellfarbig, und durch den gesetzlich vorgeschriebenen Mindest “Grünstreifen” umrahmt. Diese Beschreibung ist eindeutig überspitzt formuliert, der Architekt würde mir mindestens zehn Details aufzeigen, welche sein Bau von anderen unterscheidet, die Vertreter der Stadt würden auf die unterschiedliche Programme der Bauten zurückgreifen und von einer Einwohnervielfalt sprechen, und die grossen Bauunternehmen würden von Wohnungsnot statt Rendite reden. Dennoch scheint es mir, dass die architektonische Vielfalt dem ökonomischen, strukturellem und in Zürich auch sehr stark dem politischen Druck nachgibt. Dabei kommen unterschiedliche Fragen auf, gibt es noch eine orts- oder quartierspezifische Architektur im Wohnungsbau oder existiert diese nur noch auf dem Papier? Wieviel Vielfalt braucht es im Wohnungsbau, wie schränken Gesetzgebung und ökonomischer Druck den architektonischen Entwurf und zuletzt ist die Kiste die Antwort darauf, dass die Architektur “zu viel will”?


3 comments:

  1. Danke Tess für deine pointierte Formulierung der entstehenden Einöde. Man sollte dies sowohl städtebaulich als auch architektonisch differenziert betrachten. Es besteht ausser dem Zimmerplan keine städtebaulich differenzierte Studie, wie der Charakter der einzelnen Quartiere verstärkt oder zumindest beibehalten werden soll. Dass einzelne auch nicht denkmalgeschützte Villen z.B. erhalten werden sollten und dafür auf anderen Parzellen durch Baumassentransfer dichter und bis an die Grundstückgrenze gebaut werden kann wäre nur eine von vielen Möglichkeiten. Doch leider verstehen die meisten Architekten Städtebau bloss als weisse Volumen im 1:500 Gipsmodell. Somit bemüht sich kaum jemand um eine Änderung der momentanen gesetzlichen Rahmenbedingungen.

    Architektonisch kann man leider nicht viel machen. Ich glaube ganz Zürich besteht grundsätzlich aus hauptsächlich mittelmässiger und wenig schlechter oder ausgezeichneter Architektur. Das Resultat ist dein beschreibener ortsloser Einheitsbrei. Wiederum die Folge von externen Kräften, die Roger Diener bei seinem letzten Departementsvortrag schön beschrieben hat. Die Minergie Wohnung mit Parkett und weissen Wänden hat sich zum Standard durchgesetzt. Das Banale wird einzig durch Werbeprospekte in den Stand des Aussergewöhnlichen und Exklusiven gehoben.

    Vielleicht fehlen die Stimuli, vielleicht geht es den Architekten einfach zu gut, vielleicht sind sie sich ihrer Rolle zu wenig bewusst, vielleicht sind sie auch einfach zu scheu. Ich glaube das Problem ist keines. Man soll die Architektengilde mit der Menge aller Schüler, die ein Lehrer während seiner Lehrtätigkeit unterrichtet hat vergleichen. Die meisten werden bestehen und später in der Welt irgendwo irgendwie auf unauffällige Weise bestehen. Nur einzelne werden sich für immer in seine Erinnerung einbrennen, meist auf Grund ihrer ausserordentlichen Persönlichkeit und unkonventionellen Leistungen.

    Viele Architekten haben gezeigt, dass man aus der Not eine Tugend machen kann und auf die aussichtslosesten Situationen eine überraschende, pointierte Antwort finden kann. Doch die wenigsten haben eine spitze Zunge.

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  2. Ein guter Architekt braucht meiner Meinung nach auch keine spitze Zunge um der Allgemeinheit seine ach so tolle Leistung anzupreisen. Ein guter Architekt denkt und baut aus seinem innersten, unaufhörlichen Drang heraus, dem gesellschaftlichen Leben etwas gutes beizutragen. Gute Bauten und Räume werden von Laien gar nicht bemerkt, sondern sie fühlen sich einfach nur wohl in ihrer Umgebung, ohne, dass sie dieses Gefühl beschreiben können oder müssen.

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  3. "Nur einzelne werden sich für immer in seine Erinnerung einbrennen, meist auf Grund ihrer ausserordentlichen Persönlichkeit und unkonventionellen Leistungen."


    Ich stimme Ania voll und ganz zu.
    Muss es das Ziel eines Architekten sein seinen Namen in die Geschichte zu tätowieren? Muss er eine spitze Zunge haben? Ich glaube vielen Architekten würde eine Portion Bescheidenheit ganz gut tun, schliesslich sollten wir einen Beitrag für die Gesellschaft leisten und keine Lobeshymnen an uns selber bauen. Gebäude die einen Anspruch auf Anerkennung erheben, sind von einer Arroganz, die in unserer Gilde verboten gehört.

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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