Wednesday, March 10, 2010

Libeskind interessiert sich nicht für Architektur!


Im von Blogger Till Thomschke bereits erwähnten Interview mit Daniel Libeskind, welches gestern Abend auf 3sat ausgestrahlt wurde, sprach Libeskind darüber, weshalb er kein gewöhnlicher Architekt sei. Gewöhnliche Architekten interessieren sich für Architektur. Ein grosser Autor interessiere sich nicht für Bücher – ein grosser Autor interessiere sich nur für Geschichten. Libeskind interessiert sich demnach für alles, nur nicht für Architektur. Diese Aussage ist sinnbildlich für seine Projekte. In seinen Entwürfen benutzt er praktisch keine Referenzen ausser sich selbst. Er tut genau das, was J.Pieper an der „Blob – Architektur“ kritisiert – er will die Sprache der Architektur neu erfinden.

Kann man (gute) Architektur machen ohne jeglichen Referenzen beizuziehen - ohne ein lange entwickeltes und bewährtes Formenvokabular zu beachten? Ist das Studium, die Reflektion und letzlich die Kritik an Architektur nicht ein notwendiges Instrument im Entwurf?

es grüsst ein wohl gewöhnlicher Architekt.

8 comments:

  1. Tja, wenn ich mir Liebeskinds Bauten anschaue, überkommt mich schnell das unangenehme Gefühl, unaufhörlich beschwatzt zu werden, mit komplexen theoretischen Ansätzen und unverständlicher Symbolik überhäuft zu werden, was das Ganze zwar ziemlich komplex macht, aber keinerlei Nutzen für das Gebäude generiert. Natürlich ist es lobenswert, wenn ein Architekt mit ambitionierten Entwürfen versucht, den Architekturdiskurs foranzutreiben, allerdings wäre es mir im Fall von Liebeskind doch lieber, wenn er seine dekonstruktivistischen kreativen Ergüsse nur in der Musik umsetzen würde und sich der Welt nicht auch noch als Architekt aufdrängen würde. Aus einem schlechten Konzert kann man einfach hinauslaufen, während man schlechter Architektur leider nur schwer aus dem Weg gehen kann. Da halte ich es wie Zumthor, der Architektur mag, die schweigt, die keiner Erklärung bedarf sondern durch Atmosphäre wirkt.

    ReplyDelete
  2. Es ist wohl eine Obsession der Architektenschaft, immer für alles Referenzen zu beötigen, immer alles erklärt zu brauchen. Was es noch nicht gibt, ist noch nicht gerechtfertigt und in nun, im Kommentar von Grete S.L. sogar hässlich.
    Ich muss sagen, sehe Liebeskinds Bauten eher in der Tradition eines "Learning from Las Vegas", es ist ein identitätsstiftendes Monument. Kein Wohnhaus, meistens auch keine Geschäftshaus, sondern ein öffentliches Gebäude (über die Öffentlichkeit von Einkaufszentren lässt sich streiten, ich weiß) ist es, was Liebeskind baut und darf somit auch eine eigene Sprache besitzen um den Effekt, den Rossi so propagiert auch wirklich zu besitzen.
    Ein Autor wird zum Künstler, wenn er individuell wird. Warum aber will die Architektenschaft mit ihrer Referenzsucht immer ANONYM bleiben? Warum wollen sie keine Autoren sein?

    Schämen sie sich, für ihr Gebäude grade zu stehen und müssen das wertfollste, das sie haben: ihre Persönlichkeit, unterdrücken?

    ReplyDelete
  3. Der Mangel an Referenzen, die Negation des über Jahrhunderte, nein, Jahrtausende gewachsenen architektonischen Vokabulars, die bewusste Positionierung im sozialen und gesellschaftlichen Kontext ... der fehlende Bezug zu all diesen Faktoren befremdete mich ebenfalls, als ich folgendem TED-Talk mit dem Architekten Bjarke Ingels, dem Gründer und Inhaber der Bjarke Ingels Group (BIG) in Kopenhagen folgte: http://www.ted.com/talks/bjarke_ingels_3_warp_speed_architecture_tales.html

    Bjarke Ingels Ausführung über die Projektentwicklung in drei unterschiedlichen Fällen sind von einer derartigen Simplizität und Schlüssigkeit, dass man ihm Pragmatismus und Opportunismus als treibende Entscheidungskriterien unterstellen möchte und auch darf.

    Am eindrücklichsten versinnbildlicht dies der Entwurf des für eine Schwedische Stadt geplanten Hotel Hochhauses. Dieses wird nicht realisiert, erregt aber auf Grund seiner Formgebung (die zufälligerweise dem Chinesischen Schriftzeichen für "Volk" gleicht) die Aufmerksamkeit eines Chinesischer Funktionärs, der sich dieses Gebäude in Shanghai wünscht, was allerdings einer minimale Anpassung an die lokalen Verhältnisse erfordert, nämlich die Verdreifachung der Dimensionen.

    Gegen Ende des Vortrags lässt er das Schlagwort Evolution fallen und erhebt es zur obersten Maxime seiner Entwurfsstrategie. Zu Recht? Ja möchte ich meinen, zumindest in den beschriebenen Fällen.

    ReplyDelete
  4. Auf dem Markte ausgerufen

    Den Versuch, die eigene Disziplin entweder grundlegend zu revolutionieren oder alternativ ihre Fragen für alle Ewigkeit zu beantworten, haben viele ambitionierte Köpfe unternommen. Obwohl es beides nie glückte sind dennoch grosse Gedanken aus dieser allzu pubertären Selbstüberschätzung hervorgegangen. Sogar ein Vernunft-Mensch wie I. Kant wollte die Grundfragen der Philsophie in seinen Hauptwerken auf ewig beantworten - was er schrieb, waren drei grossartige Werke, die ohne diesen unvernünftigen Antrieb wohl nie in diesem Umfang zustande gekommen wären.

    So nun auch Libeskind: In seinem blinden, egozentrischem, ignoranten Wahn schafft er städtebaulich nicht zu rechtfertigende Un-Architekturen, die beunruhigen anstatt zu beglücken - und dennoch sind sie in ihrer neuartigen, in sich koherenten Formensprache intellektuell und künstlerisch brillant.

    Die Frage, inwieweit Architektur nun Kunst oder lieber doch nur Pragmatismus sein soll, ist für mich eine andere. Für mich kann ein Gebäude auch unter dem Vorrang des Künstlerischen bezug auf seine Umgebung nehmen, kann sich städtebaulich einfügen, Rücksicht nehmen und dennoch ein Kunst-Objekt sein - eventuell sogar mit einer erkennbaren Autorenschaft.
    Es muss dabei ja nicht herumlärmen wie die Solitäre Libeskinds; es reicht ja, wenn sie den Namen des Autors sagen, anstatt ihn laut herauszubrüllen.

    ReplyDelete
  5. zu Harry's Beitrag über Bjarke Ingels...

    das Beispiel das du angibst, der für Schweden bestimmte Entwurf welcher für Shanghai transfomiert wird, ist für mich eine Entwurfsstrategie die mich regelrecht anwiedert. Die gleiche Architektur als überall anwendbar zu denken ist fatal. Ein guter Entwurf sollte nur in einem bestimmten, dafür vorgesehenen Kontext angewendet werden. Das ganze dann noch als Evolution zu bezeichnen glaubt auch nur Ingels.
    Gleiches passiert auch im Moment in der ETH mit den von mir eigentlich geschätzen Architekten Christ & Gantenbein, die in ihrem diesjährigem Studio die Hong-Kong Hochhaustypologie auf Zürich übernehmen. Ich finde es lehrreich eine Typologie genauer zu untersuchen, geht man aber durch das Entwurfsstudio sieht man da lediglich Städtebaubau mit Plan Voisin Charakter.
    Meiner Meinung muss der Architekt nicht nur in seinem Umfeld arbeiten, wie dies beispielweise Gion Caminada erfolgreich tut, der Architekt kann durchaus in anderen kulturellen Umfeldern bauen, jedoch muss er sich auf die örtlichen Gegenheiten anpassen. Ich rechne es aber gewissen Architekten hoch an, dass sie von sich selbst sagen, an Gewissen Orten nicht bauen zu können.

    Zu Liebeskind sag ich nur, er ist meiner Meinung nach einer der meist überschätzen Architekten, er erfindet bei weitem keine neue Sprache, er hat lediglich stilistische Merkmale wie dies beispielsweise auch Dudler hat, von mir aus gibt es also nach "geduudelten" Fassaden auch "geliebeskindete" Gebäude, die wenn man ehrlich ist einem WirrWarr aus Linien oder einem Scherbenhaufen mehr ähnelt.

    ReplyDelete
  6. Lieber Hoerer,
    wenn man dich so klagen hört, könnte man denken, dass wir heutzutage das Problem hätten, dass nur noch überverständlich (nach Referenzen) und daher langweilig bauen darf, wodurch dem Architekten jegliche Möglichkeit genommen wird, seinen Bauten Persönlichkeit zu verleihen. Aber ist nicht genau das Gegenteil der Fall? Momentan baut doch einfach Jeder was er will und wie er will, schliesslich sind wir in einer Zeit angelangt, in der konstruktiv alles möglich ist. Da stellt dann eine Zaha Hadid oder ein Liebeskind ihr unverständliches Zeug auch in Städte, wo Kontext mässig weiss Gott genug vorhanden wäre, um eine kohärentere Lösung zu finden und sich in die Baugeschichte des Ortes einzureihen. Auch wenn ihre Überlegungen im Entwurfsprozess teilweise genial sein mögen, so tragen sie zum Stadtbild, abgesehen von ihrem ökonomischen Wert als Icon, nichts bei, weil man sie einfach nicht versteht. Unverständlichkeit generiert eben nicht automatisch Identität, genauso wenig, wie Bauten, welche die bereits bestehende Architektursprache sprechen nicht generell langweilig sein müssen. Natürlich gibt ein Liebeskind-Gebäude ein nettes Hintergrundsujet für Touristenfotos, aber wenn man es dann einmal gesehen hat, kommt man kein zweites Mal, denn die lautesten und auffälligsten Gebäude sind ja oft auch jene, die einem schnell verleiden, während vielleicht stillere Bauten mehr Tiefe besitzen und man gerne zurück kehrt, um immer etwas mehr über sie zu erfahren.

    ReplyDelete
  7. Lieber Mischa,

    Im Punkt, dass Architektur nur aus einem bestimmten städtebaulichen und kulturellen Kontext entstehen darf, bin ich 100% mit Dir einverstanden. Ich empfehle Dir im Verlauf des Semesters und am Semesterende nochmals beim Studio von Christ & Gantenbein, wo ich den Entwurfskurs mache, vorbei zu schauen. Was du gesehen hast, sind die städtebaulichen Modelle des Kurses nach der ersten Woche(!!!), bei dieser ersten Übung ging es im Grunde wirklich nur um einen CopyPaste-Transfer einer Typologie aus Hong Kong nach Zürich. Du darfst Dir jedoch nicht nach einer Woche schon ein abschliessendes Urteil dieser Entwurfsstrategie bilden. Emanuel Christ und Christoph Gantenbein gehen von der These aus, dass eine zukünftige Gesellschaft nur in einer Grossstadt mit dichter Bebauung mit den global beschränkten Ressourcen Boden und Energie nachhaltig und ökonomisch umgehen kann. Ich finde es legitim, wenn nicht sogar notwendig eine Referenz wie Hong Kong als äusserst dichte Stadt herbei zu ziehen, um eine wenig urbane Stadt wie Zürich in diesem Masse zu verdichten. Natürlich darf es nicht beim „CopyPaste-Verfahren“ bleiben, die transferierte Typologie muss auch noch transformiert werden. Sie dient letztlich nur als Grundlage und Referenz der Thematik „Dichte“ um eine dem Kontext angepasste Überbauung zu Entwerfen.

    Diesen Transfer oder eher Transformation einer Typologie finde ich ein sehr gutes Beispiel, wie man meiner Meinung nach das Entwurfsinstrument Referenz einsetzen soll. Es ist immer wieder hilfreich Referenzen, welche sich mit der gleichen Thematik auseinandersetzen herbei zuziehen. Um wieder auf die MainTopic zurück zu kommen, scheinen Libeskind’s Entwürfe meiner Meinung nach zu zufällig im Umgang mit Kontext und einem architektonisch-historischen Vokabular. Sein eigener Stil, stellt städtbauliche und architektonische Überlegungen in den Hintergrund. Man darf mich nicht falsch verstehen, ich lehne seine Gebäude nicht grundsätzlich ab, eine gewisse Faszination geht von ihnen schon aus. Ausserdem schätze ich sie, um mich mit solchen Fragen auseinander setzen zu können. Ich war bisher selber leider noch in keinem anderen Gebäude von Libeskind ausser dem Westside in Bern gewesn, weshalb ich mich im Folgenden nur auf dieses Gebäude beziehe. Ich muss Hoeoer gewissermassen Recht geben. Ich glaube wirklich, dass dem Laien und somit dem eigentlichen Nutzer dieser Architektur seine „futuristische“ Formensprache zumindest auf den ersten Blick sehr gut gefällt, weil es halt einfach etwas anderes/ neues/ eben futuristisches ist. Der Laie interessiert sich nicht ob, Libeskind’s zufällige Strukturen über Jahrtausende aus einer antiken Säulenlehre entwickelt wurden. Dem Laien, welcher diese Architektur als modernes Gebäude akzeptiert, fällt nur auf, dass er sich wohl in einem architektonisch speziellen Gebäude befindet, was ihn in seinem Bedürfnis befriedigt und in dem bestätigt, was er in der Tageszeitung über dieses Gebäude gelesen hat. Wenn dann noch alle Aufzüge funktionieren und er sich behaglich durch das Gebäude bewegen kann, ist der Laie glücklich. Diese Tatsache finde ich bedenklich und macht mich nachdenklich, wo wir wieder beim Dilemma wären, für wen wir letztlich bauen. Im Westside gibt es zwar scheinbar zufällige aber interessante Räume, welche wiederum nicht sehr funktional sind. Was dem Gebäude mit seiner futuristischen – entmaterialisierten Art grundsätzlich fehlt ist die Liebe fürs Detail sowie eine Atmosphäre wie wir sie zB. von Zumthor kennen. Ich denke, dass diese Architektur von einer futuristisch angehauchten Mode lebt, welche wie Grete S.-L. schreibt, schnell wieder verleiden kann. Trotzdem müssen wir uns im Klaren sein, dass wir hier nicht über „Alltagsarchitektur“ sprechen. Stattdessen muss man sich fragen, wie viel Libeskinds, Hadids oder UNstudios unsere Städte vertragen?

    ReplyDelete
  8. Zu Grete:

    Ich stimme dir sehr wohl zu in dem was du mir sagst: Ich bin kein bsonderer Bewunderer des Formenkanons von Liebeskind und finde sie auch inzwischen schon wieder überholt. Aber dennoch drückt er eine Zerrissenheit seiner selbst aus und ich denke nicht, dass dieses autobiographische Umsetzen seiner Emotionen so schnell "verleidet" und man nicht mehr hinkommen will. Liebeskind schenkt uns sich selbst und nicht irgendwelche Rechtfertigungen. Städtebaulich sind sie fragwürdig, nutzungstechnisch wohl auch. Aber sie bewegen, und meiner Meinung nach bewegen sie immer wieder, jedesnal, wenn man sie sieht. Sie sind keine Behälter für eine Nutzung, sie sind keine Materialien, sie sind nocht ein bisschen mehr.
    Natürlich kann nicht jedermanns Geschmack zufriedengestellt werden, aber STELL DIR MAL VOR:

    Es wird die Musik ermittelt, die durchschnittlich am wenigsten Menschen stört und sagen wir mal, das sei Robbie Williams. Daraufhin läuft auf der ganzen Welt überall immer Robbie Williams. Er wird zur Referenz aller Musiker.

    Ich denke, wir sind in so einer Robbie Williams-Phase in der Architektur und Liebeskind ist eine Lady Gaga, über die man sich streitet.

    So schlecht Lady Gaga auch sein mag, ich könnte nicht NUR Robbie Williams hören....

    ReplyDelete

Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

Followers

Blog Archive