Monday, March 29, 2010

"Weder ist es der rechte Winkel, der mich anzieht, noch die gerade Linie, hart, unflexibel, geschaffen vom Menschen. Was mich verlockt ist die Kurve, frei und sinnlich, die Kurve, die ich in den Bergen meines Landes finde, im gewundenen Lauf seiner Flüsse, in den Wellen des Meeres, im Körper der geliebten Frau. Aus Kurven ist das ganze Universum geschaffen - das gekrümmte Universum Einsteins."
(Oscar Niemeyer)


Für Oscar Niemeyer liegt der Reiz der Architektur nicht im rechten Winkel, sondern in der Kurve, die findet er spannend und inspirierend. Was macht also in der heutigen Zeit den rechten Winkel so zum „non plus ultra“ der Architektur?
Steht der rechte Winkel für Radikalität, Einfachheit und Abstraktion? Ist es eine Flucht aus der Komplexität, die durch Rundungen hervorgerufen werden? Ist es einfach nur ein Trend?
Was ist die Faszination am rechten Winkel?

4 comments:

  1. Der rechte Winkel hat sich im Alltag "eingebürgert", obwohl dem Menschen eigentlich nichts ferner liegen könnte - am eigenen Körper gibt es nirgends den perfekten 90° Winkel.
    Ist es die Faszination an der Geometrie und Mathematik, die den rechten Winkel seit jeher zum architektonischen Symbol erhebt? Die Art der Konstruktion (z.B. Strickbau), die die Orthogonalität bedingt? Oder ist es unterdessen nicht vielmehr ein Akt der Bequemlichkeit und der Vorsicht, der uns diesen Winkel verwenden lässt?
    Bei schiefen Winkeln kommt schnell der Vorwurf der Beliebigkeit oder des Formalismus. Entwürfe, die auf (rechtwinkligen) Raster beruhen, gelten als effizient, rationell und ökonomisch, zudem gehen viele bewährte Detaillösungen oder Bauprodukte vom rechten Winkel als Grundlage aus. Organische Entwürfe frei von jeglichen Rastern bedürfen ihrer Komplexität wegen meist eines grösseren Aufwands, vor allem was die Realisierung betrifft.
    Doch hat sich expressive, organische Architektur frei jeglicher strengen Geometrie oder rechten Winkel nicht ebenfalls bereits als Trend oder als Marke etabliert, siehe die erfolgreichen Zaha Hadid, Daniel Libeskind oder Snøhetta?

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  2. Unser Leben hat sich schon perfekt auf den rechten Winkel eingestellt...Bett, Tisch, Schrank und Auto...die Rundung im Wohnungsbau wird sich wohl nicht so schnell durchsetzten auch wenn wir alle auf Höhlenmenschen und Zeltbewohner zurückgehen. Der Kreis, der Bogen und die Rundung sind Formen der Bewegung - mit der Sesshaftigkeit hat sich der rechte Winkel zum Star gemausert. Von Flucht aus Komplexität kann keine Rede sein. Hat der rechte Winkel die Komplexität nicht eher erhöht...in dem er z.B. ein Zusammenleben auf optimiertem Raum überhaupt ermöglicht (Stadt)?

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  3. my dear "Rechter Winkel"...
    (im folgenden "RW" genannt)

    ich denke nicht, dass in der heutigen zeit der RW das "non plus ultra" in der architektur ist oder, dass der RW als trend anzusehen ist. "trend" hat für mich was sperriges, ungewohntes an sich. dafür ist der RW schlicht zu banal und zu einfach verständlich, zu ökonomisch. ebensowenig glaube ich, dass rundungen die komplexität erhöhen.

    dies mal so stehen gelassen auf zum nächsten punkt:

    es stimmt wahrscheinlich, dass sich der RW "eingebürgert" und dass sich unser leben auf den RW eingestellt hat. die frage lautet natürlich: wieso?
    primär einmal trifft die erdanziehungskraft im RW auf die erdoberfläche. dies hat zur folge, dass unsere vertikale körperachse und eine mauer, die wir allenfalls bauen, im RW zur horizontalen steht. dies wär der RW im schnitt gesehen.
    der RW im grundriss hat nun rein ökonomische gründe: eine gerade wand, die erst noch im RW auf eine andere trifft ist schlicht und einfach x mal schneller, einfacher und billiger zu bauen als eine gekurvte (ausser man heisst fabio oder matthias und spielt mit robottern...aber die geschichte kennt ihr ja...)

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  4. Während Oscar Niemeyer die geschwungene Linie und die organisch angehauchte Ästhetik als solche lobpreist, beschränkt er sich auf eine rein formale Sichtweise bezüglich der Architektur.

    Bei einem Gesamtwerk welches grösstenteils aus öffentlichen Prestigebauten und Residenzen für exzentrische Bauherren besteht, kann eine derartige Haltung schnell mal leichtfertig formuliert und dann auch konsequent erzwungen werden.

    Doch sobald Ökonomie, Bauprozess, praktische Anwendbarkeit und andere Parameter in die Betrachtung einbezogen werden, lässt sich ein solcher Standpunkt nicht mehr uneingeschränkt vertreten.

    Schliesslich spiegeln sich in der Architektur zu Recht alle Facetten jener Gesellschaft, welche sie hervorgebracht hat und zwar in einer unbestechlichen Selbstverständlichkeit. Und das ist auch gut so.

    Oder könnte ein organischer Plattenbau das kohärentes Resultat der Planwirtschaft sein?

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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