Monday, March 29, 2010

Rem tene, verba sequentur.

Über die Wichtigkeit von Worten in der Architekturkritik – Anmerkungen.

Ein wesentlicher Aspekt beim Diskurs über Rhetorik ist heute wie damals die zentrale Unterscheidung zwischen Philosophen und Sophisten. Bei Platon wird dieser Unterschied erkenntnistheoretisch wie ethisch begründet: Dem Sophisten geht es allein um die Überredungskraft der Rede. Unserem ETH-Sophisten, nicht minder in der Zahl, um das gottverdammte “Verkaufen” seines Projektes, selbst wenn das Gegenüber von etwas Falschem oder Widersprüchlichen überzeugt werden soll. Laut Platon kann es dem wahren Philosophen nur darum gehen, durch die Rede zur Wahrheit hinzuführen. Dem ETH-Philosophen, vom einen oder anderen als “wahrer Architekt” erkannt, findet die optimale sprachliche Form seiner Rede, weil sie primär klar, dabei weder banal noch erhaben erscheint, DENN SEINE WORTE ENTSPRINGEN DER SACHE SELBST. Sein Charakter und seine Sprache dienen als Werkzeug, die bestehenden Sachverhältnisse hervorzuheben und so die adäquaten Emotionen der Anwesenden zu fördern.

Das Wort steht den Plänen, Skizzen und Bildern nicht gegenüber. Worte sind zwingender Teil des Entwurfsprozesses als ein weiteres Werkzeug, das Projekt zu klären, nicht nur anderen Gegenüber, auch sich selbst. Es zu fassen, zu reduzieren, worum es inhaltlich geht. Das Wort als ein weiteres Dartsellungsmittel, welches genauso Bilder in den Köpfen anderer evoziert wie das Bild selbst. Aber das Wort besteht nicht nur aus dem Wort selbst. Es ist unmissverständlich in seiner Wirkung auf andere davon abhängig, WER ES SAGT UND WIE ER ES SAGT. Ehe wir uns anschicken, andere zu überzeugen, müssen wir doch selbst überzeugt sein! Denn der Charakter des Redners überzeugt schliesslich nur dann, wenn er glaubwürdig erscheint bzw. Ist.

FORM UND INHALT - Da wären wir also wieder beim Thema . Auch hier wäre die vollkommendste und erstrebendeste Stufe die Identität von Inhalt und Form. Eine ehrliche und überzeugende Präsentation bedarf aber keiner Redekurse. Ein glaubwürdiger Architekt – und einen anderen Architekten gibt es nicht, nur Schwätzer und die gibt es auch in anderen Ecken unseres Planeten, muss nicht zwingend ein hervorragender Redner sein. Im Gegensatz dazu unsere Sophisten, deren entgegengesetzte Erscheinungsform dann erreicht ist, wenn einzig die Form den Inhalt bestimmt. Und irgendwie zeigt sich bei solchen Unikaten immer wieder dasselbe Phänomen der Redundanz: Der zeitgleiche Blick auf die Pläne und Bilder, welche auf dieselbe Art den Inhalt zu überspielen glauben, ja dieser abstrakte Pleonasmus erheitert mich immer wieder von Neuem.
Es ist doch so:
Die Form erklärt den Inhalt. Der Inhalt zeigt sich in der Form. Die Form verführt dazu, den Inhalt zu konsumieren aber die Form hilft – wenigstens dem standhaften Zuhörer nicht- einen Inhalt zu verkaufen, der nicht existiert.

So plädiert die Rhetorik der Neuzeit, dass "Reden" nunmehr überzeugend wirken, weil sie aus dem Innern der Seele oder des Herzens fliessen und nicht mehr, weil eine bestimmte Technik möglichst geschickt angewandt wird und verschwand als Lehrfach. Tatsächlich gibt es einige Rafinessen der Rhetorik, die nicht schaden würden, sie in die Lehre einzubauen. Die Professur von Christian Kerez machte es einst vor und lehrte den Studenten, sich über ihr Wirken bewusst zu werden, indem sie an der Kritik eine Kamera aufstellten. So lernt vielleicht auch noch der eine oder andere den so wesentlichen Unterschied von Überreden und Überzeugen – ja im Autodidaktismus.
Es ist nicht die Rhetoriklehre selbst, eher das Wort “Präsentation”, welches an dieser Schule deplaziert ist und automatisch ein sophistisch angehauchtes Verhalten evoziert. Ich stelle mich keinesfalls auf Goethes Seite, wenn er die Rhetorik als “Schule des Verstellens” verpönt. Nur soviel soll gesagt sein:
“REM TENE, VERBA SEQUENTUR.” Beherrsche die Sache, dann folgen auch die Worte. (Cato der Ältere)

1 comment:

  1. Lieber Niel,
    Primär war es ja kein Diskurs über Rhetorik, sondern über Architekturkritik. Wenn wir uns in der Architekturkritik (oder konkret bei den Entwurfskritiken) bereits im Feld geübter Rhetorik bewegen würden und sodann nur noch, eine gewisse Urteilskraft wohlwollend vorausgesetzt, zwischen überzeugenden und überredenden 'Präsentationen' zu unterscheiden hätten, wär das ja schön. Ich glaube jedoch nicht, dass diese Schwarz-Weiss-Zeichnung von ETH-Sophisten und ETH-Philosophen (was für eine amüsante Wortkombination) der Sache gerecht wird, fragt sich zudem auf welche Sache Du Dich genau beziehst: auf die Kritiken im Semester? Und meinst Du die Studenten oder die Professoren? Wäre ja sehr gespannt darauf zu erfahren, wen Du als ETH-Sophisten und wen als ETH-Philosophen bezeichnen würdest... Ganz abgesehen einmal von einem nicht ganz kleinen Mittelfeld, das weder überredet noch überzeugt.

    Natürlich würde ich Dir beipflichten, dass es auf das Überzeugen und die Kongruenz von Form und Inhalt, wie Du das nennst, ankommt und die Worte der Sache entspringen und entsprechen sollten. Für so einfach, wie das Cato beschreibt, halte ich das jedoch nicht, weder das Beherrschen der Sache noch das der Worte. Und selbst wenn die Worte gleichsam automatisch folgen, wenn man die Sache beherrscht, ist es immer noch eine Frage des 'wie' sie folgen.

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Über das Seminar "Architekturkritik"

Architekturkritik findet an der Schnittstelle von architektonischer Produktion und Öffentlichkeit statt. Sie prägt damit die Wahrnehmung und Diskussion von Architektur in der Gesellschaft entscheidend mit. Entwerfende Architektinnen und Architekten fühlen sich bisweilen durch die schreibende Zunft falsch oder gar nicht verstanden oder ganz einfach ignoriert, was zu einer weit verbreiteten Frustration oder gar Irritation führt. Von diesem Befund ausgehend, setzt sich das Seminar „Architekturkritik“ zum Ziel, den Studierenden Möglichkeiten und Grenzen der Architekturkritik zu vermitteln. Die Lehrveranstaltung umfasst die theoretische Reflexion, Diskussionen an konkreten Objekten sowie aktive Textarbeit. Vom mündlichen Diskurs über die schriftliche Rezension bis hin zum Bild als Medium der Kritik werden die Studierenden verschiedene Formen des kritischen Umgangs mit Architektur kennen und anwenden lernen. Des Weiteren soll anhand der Lektüre und Diskussion theoretischer und historischer Texte die Praxis der Architekturkritik selbst reflektiert werden. Schliesslich wollen wir auch darüber nachdenken, inwiefern Kritik als Instrument für den Entwurf nützlich gemacht werden kann.

Das Seminar gliedert sich in drei Abschnitte. In einer ersten Phase werden die theoretischen Grundlagen anhand der Lektüre und Diskussion einschlägiger Texte und von Referaten erfahrener Kritikerinnen und Kritiker erarbeitet. In einem zweiten Schritt werden Bauten vor Ort besucht, um anhand der direkten räumlichen und visuellen Erfahrung ein Begriffsinstrumentatrium für die Kritik zu entwickeln, aber auch den sprachlichen Ausdruck zu üben. Schliesslich rückt im dritten Teil das Handwerk in den Vordergrund, indem die Studierenden eigene Rezensionen verfassen, die nach Möglichkeit veröffentlicht werden sollen.

Reto Geiser und Martino Stierli

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